4. Irrtümer zum Thema Traumatherapie
“In der Traumatherapie wird immer automatisch über das Trauma gesprochen, anstatt nur auf Wunsch des Betroffenen”
Das war lange Zeit Stand der Wissenschaft, hatte jedoch mehrere entscheidende Nachteile:
a) Es brachte die Patienten in eine peinliche und schambesetzte Situation: Um Hilfe zu erhalten, mussten sie sich erst einmal ausliefern, sich seelisch entblößen, ohne zu wissen, ob sie dem Behandler vertrauen konnten. Das schaffte von Anfang an ein Ungleichgewicht in der Therapie. So war kein Arbeiten auf Augenhöhe möglich.
b) Aus der Neurophysiologie mit den modernen Bildgebungsverfahren wissen wir seit über 10 Jahren, dass jeder ausgesprochene Satz, sogar jeder Gedanke, die dazu gehörigen Bilder im Gehirn (auf der Sehrinde) erzeugt. Das bedeutet, dass dem Ziel, die Vergangenheit ruhen zu lassen, direkt entgegengearbeitet wird. Kurz: Je öfter wir einen Gedanken denken, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass er noch öfter gedacht (und bildhaft erlebt) wird. So wird aber das Leiden eher noch verstärkt als vermindert.
“In der Traumatherapie muss ich stets die Vergangenheit durcharbeiten”
Auch das ist ein Irrtum, der sogar von einigen Kollegen noch nicht ausreichend berücksichtigt wird. Es gibt heute effektive Verfahren, die eine gute Therapie ermöglichen, ohne (!) dass über Inhalte gesprochen wird.
“Eine Traumatherapie sollte öfter wiederholt werden”
Wer das (als Therapeut) ernst meint, hält nicht viel von seiner eigenen Therapie, vor allem nichts von deren Nachhaltigkeit. Aber genau das ist die Nagelprobe: Nur wenn die Traumatherapie nach einem sexuellen Übergriff nachhaltig wirkt, war es eine gute Therapie.
Aber Achtung: Das gilt nur für die Erlebnisse von sexueller Gewalt, wo die Tat und die Bedrohung in der Vergangenheit liegen und die Patient/innen heute noch unter ihren eigenen Gedanken und Bildern leiden – hier kann eine kompakte Traumatherapie tatsächlich dauerhaft Abhilfe schaffen. In den Fällen aber, wo die Betroffenen heute weiterhin bedroht werden, wird die Bedrohung ja wieder zur Gegenwart und vom Gehirn auch so verarbeitet.
“Ein Trauma durch sexuelle Gewalt kann nie abschließend behandelt werden”
Doch, kann es. Und das ist eine segensreiche Nachricht für alle traumatisierten Menschen. Dafür gibt es mittlerweile unzählige Studien und Beispiele. Siehe auch Punkt 3.
“Ein weibliches Opfer von sexuellen Übergriffen sollte immer auch zu einer weiblichen Therapeutin gehen“
Diese Meinung war tatsächlich lange verbreitet, denn früher spielte das Thema „Einfühlung“ oder „Solidarität“ eine große Rolle. Es war zuerst einmal wichtig gewesen, dass die Patientinnen sich verstanden fühlten – im Glauben, das Verstanden-Werden brächte dann schon alleine die Heilung hervor. Dieser Punkt hat sich aber über die Jahre als Irrtum herausgestellt. Denn verstanden zu werden, ist zwar eine gute Unterstützung für die Therapie, jedoch nicht die Therapie selber. In der modernen Traumatherapie geht es heute vielmehr um gedankliche Instrumente, die den Patientinnen helfen, nach einem Missbrauch oder einer Vergewaltigung besser mit sich selber zurechtzukommen. Und diese Instrumente können Männer grundsätzlich genauso gut vermitteln wie Frauen.
(Die Erfahrung zeigt außerdem, dass Frauen gerade mit so heiklen Themen gerne zu männlichen Therapeuten gehen, weil mit denen offener zu arbeiten sei und die „Bemutterung“ durch weibliche Therapeutinnen wegfalle.)
“Eine Therapiegruppe sollte niemals gemischt sein (Trauma/nicht Trauma)“
Auch hier ist die Zeit weiter gegangen. Das Thema „sexuelle Gewalt“ war lange nur hinter vorgehaltener Hand in der Öffentlichkeit angesprochen worden. Das war dann eine doppelte Bestrafung für die Opfer: Erstens durch das Unrecht selber, das geschehen war, und dann noch zusätzlich durch das Redeverbot: Als wären die Opfer Aussätzige, die gefälligst unter sich bleiben sollen. Dabei haben doch gerade sie unser Mitgefühl verdient. Es ist wunderbar zu erleben, wie Patient/innen ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstliebe wieder aufbauen, wenn sie die Akzeptanz und das Mitgefühl ihrer Mitmenschen erleben. Sie werden praktisch in die Mitte der Gesellschaft zurück geholt.
Ausnahme: Besonders große Schamgefühle – da kann es in der Anfangsphase der Traumatherapie sinnvoll sein, zusätzlich zur Gruppe einen monothematischen und damit geschützten Rahmen im Einzelgespräch anzubieten.
Die Valere Privatklinik bietet grundsätzlich beides an: Einzelgespräche und Gruppentherapie. Die Patienten haben Mitspracherecht und gestalten ihren Therapieplan mit, so dass sie im Zweifelsfall auch selbst entscheiden können, wann und in welcher Form sie sich mit dem heiklen Thema anderen anvertrauen.